Unsere Gesellschaft ist geprägt von sozialer Ungleichheit – je nach Perspektive lassen sich Menschen anhand von Schichten, Milieus oder sozialen Lagen einteilen. Man kann horizontale und vertikale Hierarchien beobachten und das Auseinanderdriften der viel zitierten „sozialen Schere“ sehen.
Es ist kein Geheimnis, dass Menschen, die von dem gesellschaftlichen Ideal des gesunden Vollzeit arbeitenden Mainstream-Menschen abweichen, ein niedrigerer sozialer Wert zugeschrieben wird.
Ich möchte Teil der Gesellschaft sein, mitmachen dürfen, arbeiten und selbst bestimmen wie ich mein Leben gestalten möchte – und ich habe Angst davor ausgeschlossen zu werden.
Ich bin eine dicke hochbegabte Frau mit Migrationshintergrund und psychischer Krankheit – als ob nicht eines davon schon gereicht hätte 😉
Die Hochbegabung konnte ich die meiste Zeit meines Lebens gut „verschleiern“, zumal ich ja früher selber davon gar nichts wusste und mich nicht durch meine gefühlt blöden Ideen blamieren wollte.
Gegen das Dick-Sein habe ich auch alles möglich unternommen – zeitweise erfolgreich und das war ein unglaublich schönes Gefühl, leider nicht langfristig und das Gefühl ist dann richtig blöd.
Das mit dem Migrationshintergrund konnte ich durch geschickte Wahl des Ehepartners im Nachnamen ausgleichen…..ok, kleiner Scherz, tatsächlich mag ich noch ein paar andere Sachen an meinem Mann als seinen Nachnamen 😉
Was ich jedoch wirklich nur schwer akzeptieren kann ist die Tatsache, dass ich aufgrund meiner Traumafolgestörung nicht Vollzeit arbeiten kann.
Es gab in mir lange Zeit die Überzeugung, dass ich es selber in der Hand habe, ob ich ein „eingeschränktes“ Leben als psychisch kranker Menschen führen möchte oder ob ich mich anstrenge, an mir arbeite und dafür ein ganz normales Leben führen kann.
Fake it, till you make it sozusagen.
Auch die Therapeuten, die meine pDIS nicht erkannt haben, haben mir immer suggeriert, dass ich mich nur recht anstrengen müsste und durch „Verlernen“ meiner schädlichen Glaubenssätze irgendwann ein ganz normales Leben führen könnte – also so wie ich dachte, ich habe es in der Hand zu welcher Gruppe ich gehören möchte – cool…
Nur die Realität hat das irgendwie nicht begriffen, was ich wollte – hallooo, ich arbeite an mir und jetzt soll das bitte alles normal sein.
Ok, vielleicht nicht hart genug an mir gearbeitet – muss mich mehr zusammenreißen, jeder hat mal Probleme und die anderen laufen nicht einfach weg – Disziplin, baby.
Ein schlauer Mensch hat mal gesagt „Eine Definition von Wahnsinn ist es immer wieder die selben Dinge zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten“ – so gesehen war es irgendwie Wahnsinn, was ich da von mir erwartet habe.
Irgendwie dachte ich ja, dass alle Menschen die gleichen Probleme hätten wie ich – nur dass die anderen damit einfach souveräner und fleißiger umgehen.
Erst als ich eine wirklich kompetente Therapeutin getroffen habe, die bei mir besagte pDIS diagnostizierte, wurde mir bewusst, dass andere Menschen gar nicht die gleichen Herausforderungen haben wie ich.
Auch die tollen Seiten und Kanäle von anderen Betroffenen haben mir gezeigt, dass es eigentlich schon eine krasse Leistung ist mit einer (p)DIS den Alltag irgendwie hinzukriegen geschweige denn noch eine fordernde Arbeit zu schaffen.
Das hat mir langsam die Augen geöffnet und ich habe verstanden, dass ich gar nicht die Wahl habe, ob ich psychisch krank sein „möchte“ oder nicht (wobei ich den Ausdruck eh ziemlich unpassend finde, eigentlich ist es ja eine krasse Überlebensstrategie und keine Krankheit – aber das ist eine andere Diskussion).
Ich habe aufgrund der pDIS gewaltige Herausforderungen, denen ich mich stellen muss und ich lerne immer mehr FÜR mich zu kämpfen statt gegen mich.
Das nimmt sehr viel Druck raus und ermöglicht mir manchmal sogar ein Gefühl von Entspannung (Entspannung – das unbekannte Wesen 😉
Trotzdem bleibt die Angst aus der Gesellschaft zu fallen und nicht mehr selbstbestimmt leben zu dürfen – deshalb wähle ich extrem aus, wem ich davon erzähle und versuche ansonsten unter dem Radar durchzuschlüpfen.
Ich bewundere Menschen, die offen für mehr Anerkennung kämpfen und durch ihre Seiten und youtube-Kanäle zur Aufklärung beitragen – DANKE 🙂
liebe sarah!!!
du macht das auch mehr als nur gut!
irgendein trotziger anteil von mir hat, schon als ich noch eine jugendliche war, bemerkt, daß ich erst verzweifelt und vergeblich versucht hätte, dazu zu gehören und normal zu sein, dann aber irgendwann keine lust mehr darauf gehabt und es dann auch gar nicht mehr als erstrebenswert angesehen hätte.
es ist immer ein großer fehler, menschen in schubladen zu packen.
ein teil, die meisten, erfüllt zufällig die kriterien.
das liegt daran, daß diese einfach statistisch in der mehrheit sind.
normalität wird ja eigentlich nur darüber definiert, wie häufig sie auftritt, nicht über eine wertung, ob die entsprechenden eigenschaften besser sind, als andere.
ein weiterer teil erfüllt die kriterien entweder besser oder schlechter.
wenn du dir die gauß’sche glockenkurve vorstellst, also eine auf den kopf gestellte normalparabel, sind das die leute an den beiden rändern, die noch im normbereich liegen.
der rest liegt außerhalb des toleranzbereichs an den außenrändern beider seiten.
ganz wichtig, wie du ja auch immer bzgl. deiner hochbegabung sagst, sowohl die links, als auch die rechts am außenrand fühlen sich falsch!
dann wird ja schnell klar, daß sehr vielen menschen diese kriterien nicht gerecht werden können und selbst wenn sie noch tolerabel aus der reihe tanzen, sie sich anstrengen müssen, um noch mitzuhalten und den erwartungen zu genügen.
ich meine, langsam weichen sich diese vorstellungen immer mehr auf, siehe auch die genderdebatte, fragen der inklusion und auch die globalisierung (überall „ausländer“, vor allem in den städten und sobald du irgendwo anders hinfährst, bist du entweder auch fremd oder dann vielleicht plötzlich zu hause, dazu vermischen sich die kulturen und sprachen ja auch immer mehr und bereichern sich gegenseitig), religiöse verhaltensregeln, zumindest teilweise (ich bin erzkatholisch erzogen worden z.b.) werden hinterfragt und abgeschafft…
da sind wir finde ich auf einem guten weg!
und dazu tragen menschen wie du sehr viel zu bei, dieses bewußtsein zu fördern, damit es sehr vielen menschen besser gehen kann in der zukunft.
liebe grüße von biene
Hallo biene,
vielen Dank für deinen lieben Kommentar 🙂 Ich musste mehrmals innerlich mit dem Kopf nicken, als ich deine Zeilen gelesen habe – du fasst das immer so gut in Worte. Und es klingt für mich sehr „tröstend“, was du schreibst – ich glaube man hat einfach oft das Gefühl der einzige Mensch zu sein, der irgendwie nicht mainstream ist. Aber das stimmt ja gar nicht – zum Glück.
Der einzige Bereich, in dem ich nach wie vor nicht klar komme, ist die Arbeitswelt. Ich stimme dir zu, dass es zum Glück immer mehr Bestrebungen gibt alte Vorstellungen zu überwinden, aber ich habe leider im Arbeitsleben eher negative Erfahrungen gemacht. Meine Erfahrungen waren immer so, dass man sofort einen Stempel abkriegt, wenn man offenlegt, dass man eine psychische Krankheit hat (und es ist schwer das nicht offenzulegen, wenn man mal 3 Monate in einer Klinik ist). Danach wurde mir nichts mehr zugetraut und ich wurde regelrecht rausgemobbt (und das im öffentlichen Dienst…).
Es schmerzt mich, wenn ich immer wieder höre, dass es so schlimmen Fachkräftemangel gibt und gleichzeitig werden kranke, behinderte oder „alte“ (also über 40-Jährige…) Menschen gezielt nicht eingestellt.
Das nervt mich und es ist auf Dauer einfach auch ein finanzielles Problem für mich. Ich habe mit Hochbegabung und psychischer Krankheit einfach irgendwie eine blöde Kombi – geistig schaffe ich viel, aber körperlich halte ich leider nicht lange durch…seufz.
Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf irgendwann selbstständig was auf die Beine zu stellen….mal sehen.
Liebe Grüße
Sarah
liebe sarah!
mobbing ist so gemein!
es ist kein trost, nur eine erklärung, daß das vermutlich die rückseite von diesem druck darstellt, der auf den individuen einer gesellschaft lastet, gefälligst den vorgaben zu entsprechen.
mobbing kann eigentlich ja nur durch projektion entstehen, also jmd. kommt mit ähnlichen oder beim anderen nur vermuteten eigenschaften an sich selber nicht zurecht und lehnt sie ab oder schämt sich dafür und läßt das dann am gegenüber aus.
in der situation ist das aber keine große hilfe, wenn man das weiß.
ich kenne mobbing auch sehr gut.
in der schule damals habe ich bemerkt, daß die meisten dabei mitmachen, nur um nicht selber zum opfer zu werden.
übrigens, was deine hochbegabung betrifft, ist ganz sicher auch eine ganze menge neid dabei! :O)
blöd nur, daß du sie selbst oft als problem wahrnimmst… auch weil du vermutlich sonst den ganzen tag schreiend über all die unlogik herumlaufen müßtest.
lieb, daß du dich über meine gedanken gefreut hast, manchmal möchte ich mich aber auch selber in den hintern treten, weil ich immer alles erklären will und damit das eigentliche thema verfehle.
nämlich daß du sagst, du fühlst dich gerade damit einfach nicht gut und bist ein bißchen demoralisiert.
ich drücke dir so die daumen, daß du deinen weg weiter gehst, ohne dich beirren zu lassen!
und daß dir deine intelligenz dabei als riesenressource weiterhilft.
es ist in meinen augen auch eine sehr gute idee, absichtlich damit aufzuhören, zu funktionieren.
und vielleicht gibt es da kreative lösungen, damit das finanzielle problem aufgefangen werden kann?
ich hätte noch einen lesevorschlag, der ist aber wirklich geschmackssache:
susanne hühn hat einige selbsthilfebücher zum thema „inneres kind“ geschrieben und mir helfen sie, solange ich die kinder in den plural setze und teilweise etwas altern lasse ;O) , gerade sehr.
ganz liebe grüße!
Hallo Sarah,
ich habe deinen Youtube-Kanal und deine Homepage ganz neu entdeckt – mega toll was du machst!
Betr. der Traumaheilung wollte ich dich fragen, ob du das Morgenlicht-Coaching von Lea Hamann kennst? Ich nehme seid ein paar Monaten Sitzungen und bin sehr dankbar diese Art von Trauma-Therapie bzw. Coaching gefunden zu haben. Alles Liebe dir, Carmen
Hallo Carmen,
vielen Dank für deinen lieben Kommentar – ich habe mich sehr darüber gefreut 🙂
Das Morgenlicht-Coaching kannte ich noch nicht, das klingt sehr spannend, danke dir für den Tipp.
Ich habe vor einiger Zeit einen Online-Kurs bei Dami Charf gemacht, da ging es auch um Traumaheilung auf der körperlichen Ebene, und das hat so gut getan.
Ich komme immer mehr dahinter, dass es wirklich wichtig ist das traumatisierte Nervensystem wieder (naja, das erste mal) in Sicherheit zu bringen und da finde ich solche körperorientierten Therapieformen viel hilfreicher als Gesprächs-Psychotherapie.
Allerdings muss man auch da natürlich sehr gut drauf schauen, dass die therapeutische Beziehung passt und man in guten Händen ist – gerade im Coaching-Bereich tummeln sich leider oft Menschen mit Helfersyndrom (auch weiblicher Narzissmuss genannt) und da ist es gut, wenn man seinem Bauchgefühl traut.
Aber toll, wenn du jemanden gefunden hast, wo du dich wohlfühlst und danke, dass du das mit uns geteilt hast.
Liebe Grüße
Sarah